Erstellt: 26-12-2012
Mitverantwortung für die Komplexitätsbeherrschung
Vorwort zur Nicht-Einschränkung des Titels:
Für einen Augenblick war ich versucht diesen Artikel "... Komplexitätsbeherrschung
in der modernen Gesellschaft" zu betiteln. Aber schnell wurde mir klar, dass
Komplexität kein modernes Phänomen ist, sondern so alt wie die Welt.
Und auch die Notwendigkeit sie zu beherrschen ist so alt wie die Lebewesen, die
auf ihr leben. Hier ein leicht nachvollziehbares Beispiel mit einem Vergleich
aus Zuständen aus der näheren Vergangenheit: Heute ist der Kunde, der
in ein großes Textil-Kaufhaus geht, ganz offensichtlich mit Komplexität
konfrontiert.
- Zuerst hat er die Wahl, in welche Stadt er fährt,
- dann in welches große Kaufhaus er zuerst geht
- und in welcher Etage die Abteilung seiner Wahl liegt.
- In der hoffentlich richtigen, großen Halle angekommen, muss er sich
für eine Unterabteilung entscheiden
- in der die gewünschte Kleidung, sagen wir Hosen, auf einer unüberschaubar
großen Fläche angeboten wird,
deren Ständer und Regale nicht nur in die Breite und die Tiefe gehen,
sondern auch in die Höhe.
- Nachdem er diese Herausforderung kaskadierter drei- oder mehrdimensionaler
Auswahlmöglich- und -notwendigkeiten bewältigt hat, wendet er sich
nun der Frage von Farbe, Material, Form, Größe und Preis zu.
- Auch Stil, Herkunft, Qualität, Marke, Bemessungssystem, Garantiebedingungen,
Rabattmöglichkeiten, Sonderangebote, Verfügbarkeit und seine verbliebene
Zeit erfordern seine Aufmerksamkeit.
Diese Form der Komplexität ist nur allzu offensichtlich. Sie springt einem
fömlich ins Auge und wirkt für manche Mitmenschen sogar ziemlich ermüdend,
um nicht zu sagen überfordernd.
Weniger offensichtlich, aber dennoch vorhanden, war die Komplexität früher,
z.B. zu der Zeit, als es für den Bürger normal war, zu einem Schneider
zu gehen, zu der Zeit, in der das Handwerk und die Stände ihre Hochzeit hatten.
Im Grunde hatte man auch damals die Wahl, in welcher Stadt man zum Schneider gehen
wollte, nur war das Reisen von einer Stadt zur anderen damals nicht so leicht
und schnell. Und natürlich hatten größere Städte auch mehrere
Schneider, unter denen man hätte wählen können. Allerdings nahm
einem das gesellschaftliche Reglement diese Wahl weitgehend ab. Und angekommen
bei dem Schneider der Wahl, also dem für den eigenen Stand angemessenen Schneider,
bestand die Komplexität nicht in sichtbarer Auswahl von Kleidung "von
der Stange", weil die Hose zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht existierte.
Sie musste erst geschneidert werden und hing nicht mit vielen anderen auf einer
Stange. Die Komplexität bestand also in noch nicht verwirklichten, nicht
sichtbaren Möglichkeiten, und somit in den Möglichkeiten des Schneiders.
Dieser Fachmann, dieser Meister seines Faches, hatte die Möglichkeiten in
seinem Kopf, in seiner Erfahrung und nur zum kleineren Teil körperlich sichtbar
in der Kammer, in der die Stoffe lagerten und die der Kunde nicht unbedingt zu
Gesicht bekam. Der Kunde musste nicht aus vielen Hosen eine wählen, die seine
Größe hatte, sondern der Schneider nahm Maß, nahm dem Kunden
nicht nur die Maße ab, sondern auch viele Entscheidungen. In so fern er
nicht nur Sein Fach beherrschte, sondern auch den Kunden schon etwas kannte, traf
er ettliche Entscheidungen stillschweigend führ ihn. Er konnte ihm an der
gerade getragenen Kleidung ansehen, wie viel er zu zahlen bereit und in der Lage
war und welchem Stand oder welcher Zunft er angehörte. Ein sehr viel größerer
Anteil an Entscheidungen wurde damals nicht vom Kunden getroffen, sondern von
Traditionen, gesellschaftlichen Zwängen und echten Fachleuten vor Ort. Eine
falsche Entscheidung, eine die gegen gesellschaftliche Zwänge verstieß,
konnte sehr ernste Folgen haben. Die Komplexität war auch damals groß,
nur die Wahlfreiheit schien deutlich eingeschränkt.
Die Notwendigkeit zur Komplexitätsbeherrschung war also auch in einer schon
lange nicht mehr "modernen" Gesellschaft gegeben.
Um nachvollziehbar zu machen, warum sich die Notwendigkeit zur Komplexitätsbeherrschung
nicht nur auf die menschliche Gesellschaft beschränkt, sondern
z.B. auch auf die Natur erstreckt, erinnere ich nur daran, dass
es zu früheren Zeiten nicht an jeder Ecke eine Facharzt gegeben hatte und
eine Krankenversicherung, sondern dass man entweder selber wusste, wie man sich
aus Schwierigkeiten raus hielt, oder die Komplexität der Naturheilkunde persönlich
beherrschen musste, um nicht eines frühen Todes zu sterben. Und da dieses
auf die Mehrheit der Bevölkerung nicht zutraf, war die Lebenserwartung entsprechend
gering, etwa halb so hoch wie heute.
Hat die Komplexität zugenommen?
Ja!
Ein sehr anschauliches Beispiel: Als ich zur Schule ging, gab es einen PC, den
man als Bausatz erwerben konnte, den PET.
Prozessor-Takt: 1 MHz, Arbeitsspeicher: 4 KB SRAM, Bildschirm S/W mit 25 Zeilen
zu 40 Zeichen. Heutzutage (2012) hat ein PC z.B. einen AMD-FX-Prozessor
mit 4 GHz und 4 parallel arbeitenden Prozessorkernen. Das ist ein Faktor von 1.000
* 4 * 4 nur auf der Zeit-Achse. Von
der Anzahl der darin arbeitenden Transistoren will ich gar nicht erst anfangen..
Der Arbeitsspeicher
kann gut und gerne 8 GB betragen, ein Faktor von 2 * 1.024 * 1.024. Allerdings
hat so ein PC weiterhin wie damals 1 Tastatur und 1 Bildschirm und kosten 1 Monatslohn.
Die tatsächliche Zunahme der Komplexität war zwar buchstäblich
unglaublich hoch, man könnte sagen: "Tausend mal in die Breite, tausend
mal in die Länge, tausend mal in die Tiefe und auch tausend mal in die Zeit."
alles in nur 30 Jahren, ist aber von außen nicht entsprechend auffällig
sichtbar. Im Wesentlichen bedient ein Mensch immer noch einen PC und nicht billionen
von PCs. Die Multitaskingfähigkeit des Menschen hat in den letzten 100 Jahren
nämlich nicht zugenommen, auch wenn viele sich diesbezüglich gerne selbst
überschätzen. Und ja, es gibt nicht mehr nur ein Telefon pro Familie,
sondern drei Telefone pro Person (z.B. ein Festnetz zuhause, eins im Büro
und ein privates Handy) Dafür leben aber 30% der Leute als Singles allein
zu haus und nicht länger im Mehrgenerationen-Familienverband, und viele leiden
daher unter einem Mangel an guten Gesprächen. Und owbohl das Telefonieren
eine seit vielen Generationen bekannte Kulturtechnik ist, melden sich auch heute
noch viele Mitmenschen mit "Hallo?" bzw. "Ich bin's" (und
wer jetzt nicht versteht, warum das problematisch ist, möge mal ein Kommunikationsseminar
besuchen oder zumindest ein
Buch wie dieses lesen!)
Die Komplexität des Menschen hingegen hat nicht zugenommen, auch wenn es
anders scheint. Wenn ein Mensch mehr Komplexe hat, ist das keine Zunahme der Komplexität,
sondern der Kompliziertheit, es steigert gewiss
nicht die Effizienz oder Effektivität. Es macht werder erfolgreicher noch
glücklicher und führt auch nicht schneller zur Erleuchtung oder zum
Samadhi.
Juristische Verantwortung und reale Verantwortung
Das Leben war schon immer sehr komplex. Die Gesetzgebung hingegen ist eine relativ
neue Erscheinung und bildet die Realität nur zu einem sehr kleinen Teil ab
und muss notwendigerweise hinter der sich stets entwickelnden Realität immer
zurückbleiben. Oft geht die Gesetzgebung auch Irrwege und entfernt sich wieder
von der Realität. Daher ist die reale Verantwortung immer wesentlich umfangreicher
als die juristische.
Zum Beispiel gibt es bis heute keine juristische Pflicht, auf einem an das Internet
angeschlossenen Computer eine Firewall und einen aktuellen Virenscanner zu installieren.
Aber, wer sich mit Computern auskennt und auf dem eigenen Rechner wichtige Daten
verarbeitet, weiß, dass es unerlässlich ist, um die eigenen Daten zu
schützen. Es gibt natürlich auch keine Pflicht eigene Daten mittels
Backup
zu sichern.
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