Was bedeutet es wirklich, wenn jemand sagt: "Das(Du) ist(bist) ja kompliziert!"?
Zuerst einmal zum Begriff "kompliziert":
Sachlich betrachtet ist es eine Bewertung zur Frage der Komplexität.
Komplexität ist an sich schon ein relativer und damit wertender Begriff.
Übersetzt man es mit vielschichtig oder vielgestaltig, sieht man am Wortteil
"viel", dass es relativ ist. Sonst müsste man genaue, absolute
Angaben machen, wie "Tausendfüßler" oder, weniger komplex
und vollkommen realistisch: "Achtfüßer". Vielfüßer
ist relativ und würde bedeuten: "hat mehr Füße als ich".
Der systemische Begriff der
Komplexität beschreibt also seine Vielgestaltigkeit, das
Vorhandensein vieler Elemente die zudem in einem funktionalen Zusammenhang stehen
und sich mehr oder weniger voneinander unterscheiden.
Bei einer Ansammlung gleichartiger Elemente ohne speziellen funktionalen Zusammenhang,
z.B. bei einem Kopfsteinpflaster, also einem Straßenabschnitt aus einer
großen Zahl einzelner Steine, würde man nicht von Komplexität
reden. Bei einem umfangreichen Mosaik, dass auch eine Fläche darstellt, wie
eine Straße, könnte man von Komplexität reden, weil die Mosaiksteine
ein Muster bilden, also einen logischen Zusammenhang und vielgestaltig sind, also
sehr unterschiedlich in Form und Farbe. Form, Farbe und Anordnung der vielzähligen
Elemente (Mosaiksteine) sind hier entscheidend für ihren funktionalen Zusammenhang,
für die Funktion ein Muster bzw. ein Bild darzustellen.
Ein System, z.B. ein Alphabet, ist die Einheit vieler Elemente zur Erfüllung
einer höheren Funktion, höher als es ein einzelnes Element könnte
und höher, als es eine unverbundene Ansammlung gleichartiger Elemente könnte.
Ob das System nun lediglich komplex ist, oder kompliziert, hängt davon ab,
welche Funktion man von dem System erwartet und ob diese Funktion auch mit weniger
Elementen erfüllbar wäre oder alle Elemente in ihrer Vielgestaltigkeit
zur Erfüllung der Funktion gebraucht werden.
Auch in einem rein technischen Sinne ist "Kompliziertheit" sehr subjektiv,
denn diese Bewertung hängt von der Erwartung ab, die man an das System stellt.
Genügt es mir z.B., dass ein System "jetzt" funktioniert, benötigt
es keine "komplizierten" Einrichtungen für eine "sichere"
Funktion oder ein Weiter-funktionieren auch unter ungünstigen Bedingungen
und nach dem Ausfall einiger Komponenten. So mag man es "kompliziert"
finden, immer einen Sicherheitsgurt anlegen zu sollen, so lange man noch keinen
Unfall erlebt hat, bei dem dieser Gurt einem das Leben gerettet hat.
In einem etwas subjektiveren Sinne wird jedwede Komplexität eines Systems
als störend oder lästig empfunden, so lange man keine Einsicht in die
Funktion dieser nur scheinbar überflüssigen Komponenten hat, die spezielle
Funktion nicht benötigt oder nicht zu benötigen glaubt, oder auch lediglich
kein Verständnis dafür hat, dass man diese Komponenten verstehen soll
bzw. keine Fähigkeit hat, sie zu verstehen, so dass es nicht die Komponente
sind, die man als lästig empfindet, sondern die Aufgabe, diese zu verstehen.
Um "Kompliziertheit" in einem objektiven Sinne kann es sich also nur
handeln, wenn man das ganze System verstanden hat, einschließlich aller
seiner Aufgaben und aufgrund von umfassendem Wissen einen Weg kennt, all diese
Aufgaben mit weniger Komponenten oder in kürzerer Zeit oder sonst wie unter
geringerem Aufwand zu erledigen bzw. sicherzustellen.
Wenn ich also denke, es sei kompliziert, sollte ich mich dessen vergewissern,
dass ich umfassend über alle Aufgaben des Systems informiert bin. Und bevor
ich sage, es sei kompliziert, sollte ich mir darüber im klaren sein, wie
genau das System zu verbessern und zu vereinfachen ist, ohne dass es an wünschenswerter
Funktionalität einbüßt und ohne dass diese Verbesserungen am System
unter so großem Aufwand gemacht werden müssten, dass unterm Strich
doch nichts einfacher geworden wäre.
Natürlich geht es den meisten Menschen, die sich über die angebliche
Kompliziertheit von etwas aufregen, nicht darum, ein System zu verbessern, dass
sie besser verstehen als die Schöpfer dieses Systems. In den meisten Fällen
ist das Gegenteil der Fall: Sie verstehen das System nicht gut genug, um es in
seiner bestehenden Form für sich nutzen zu können. Sie hätten den
Nutzen des kritisierten Systems zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse
auf "einfache", also auf eine für ihre Verhältnisse möglichst
leichte Art erhalten wollen, zur Befriedigung ihrer eigenen, momentanen Bedürfnisse
und sind daran gescheitert. Die geäußerte Kritik ersetzt hierbei den
konstruktiven Verbesserungsvorschlag.
In der Regel liegt der Fehler nicht im kritisierten System, sondern im mangelnden
Verständnis des Kritikers. Das wiederum will der Kritiker aber weder sich
selbst gegenüber noch anderen gegenüber zugeben. Er verschließt
sich also dem Verständnis von sich selbst und schiebt die Verantwortung für
den mangelnden Erfolg auf eine angebliche Kompliziertheit des Systems, das außerhalb
von ihm ist oder zumindest als außerhalb von ihm bezeichnet wird. Der Fokus
wird also weg gelenkt von dem verbesserungswürdigen System des Kritikers
zu dem System, dass er ungerechtfertigt kritisiert. Das erschwert, also verkompliziert(!)
die Möglichkeiten hier verbessernd einzugreifen.
Der eigentliche Zweck dieses Kritisierens im Außen liegt nicht in der Verbesserung
außen liegender Umstände. Das mangelnde Verständnis der Funktion
eines Systems und der daraus erwachsende Mangel an Erfolg im Umgang mit diesem
System führt zu Gefühlen von Hilflosigkeit, Ärger, Wut, Frustration
und Trauer bis hin zur Agonie, abhängig von der gefühlten Schwere des
Problems. Der Zweck der Kritik liegt in der Bekämpfung dieser Gefühle.
Inhaltlich und funktional kann der unverständige Mensch seine Situation nicht
verbessern, also versucht er, sich von der tatsächlichen Verantwortung für
sein Missgeschick wenigstens kognitiv zu befreien, um sich wenigstens vorübergehend
besser zu fühlen, auch wenn seine zu Grunde liegenden Bedürfnisse immer
noch nicht befriedigt worden sind.
Das was man in sich trägt nicht in sich selbst sehen zu wollen,
weil es unangenehm ist, peinlich, unvorteilhaft, nicht in Übereinstimmung
mit den eigenen Werten, es aber auch nicht völlig ignorieren zu könne
und es deshalb im Außen zu sehen, vornehmlich in anderen Menschen, praktisch
unabhängig davon, ob es dort auch wirklich existiert, nennt man Projektion.
Man kann unterdrückte Wünsche und eigene Schwächen in andere Menschen
projizieren. Solche Projektion ist rein kognitiver Natur. Es wird nicht wirklich
etwas bewegt. Kein Problem wird derart gelöst, im Gegenteil, denn diese Verzerrung
der Wahrnehmung macht die Selbsterkenntnis schwieriger und die Zielpersonen solcher
Projektionen werden es vornehmlich als Angriff auffassen und sich entsprechend
zur Wehr setzen, was den Konflikt eskaliert und "verkompliziert".
Die meisten Menschen, die etwas für kompliziert halten, sprechen daher tatsächlich
eher über sich selbst. Und man ist gut beraten, es nicht persönlich
zu nehmen. Hört man die Kritik der "Kompliziertheit" sollte man
sich besser fragen, was der Kritiker nicht verstanden hat und welches Bedürfnis
er sich nicht hat erfüllen können, weil er es nicht verstanden hat.
Man kann dem Kritiker also aus seiner unerfreulichen Lage helfen, entweder indem
man ihm weitere Aspekte des Systems verständlich macht, oder in dazu bringt,
sich auf seine unerfüllten Bedürfnisse zu konzentrieren, anstelle auf
angeblich komplizierte Systeme.
KARMA
Das ist Sanskrit
und bedeutet Arbeit, auch im ganz simplen physikalischen Sinne.
Arbeit, das ist, ein Ding, eine Masse auf ein höheres Niveau zu heben.
Dazu muss man das Ding, das Objekt erst einmal angreifen, man muss es in den
Griff bekommen. Etwas, das man nicht in der Hand hat, kann man nicht bewegen.
Diese Erkenntnis existenzieller Tatsachen wird gerne durch Wunschdenken ersetzt,
was zu schwerer kognitiver Behinderung führt, zu Geisteskrankheit, die
mitunter ansteckend wirkt. Das ändert aber nichts an den Tatsachen.
Unter Sozialpädagogen wurde gerne gesagt: "Du musst den Menschen da
abholen, wo er steht!". Das ist wie Busfahren: Der Bus hält an der
Bushaltestelle. Die Leute stehen an der Bushaltestelle. Wer nicht an der Bushaltestelle
steht, wenn der Bus kommt, der wird nicht mitgenommen. Es bringt nichts, zu
sagen: "Ich mag keine Bushaltestellen." Es ist egal, warum Du nicht
an der Bushaltestelle stehst, wen der Bus kommt: Du wirst jedenfalls nicht mitgenommen.
Also stelle Dich zur rechten Zeit an die Bushaltestelle oder fahr mit dem Rad!
Der Bus verrichtet Arbeit, er "greift" sich die Leute und bewegt sie
ein Stück, bis er sie wieder los lässt. So verrichten auch Sozialarbeiter
nur dann (nützliche) Arbeit, wenn sie die Leute da abholen, wo sie tatsächlich
stehen. Denn auch psycho-sozial gibt es Standorte.
Eine Projektion erschwert die Arbeit sehr. Durch eine Projektion
wird ein Konflikt an der Stelle, an der er wirklich auftritt, also bei sich
selbst, versteckt, so gut es geht unsichtbar gemacht. Die Position des Konfliktes
wird daraufhin an einem anderen Ort, im Außen, bei jemand anderem behauptet,
dort hin projiziert, an einem Ort, an dem er aber tatsächlich nicht ist.
An diesem Ort befindet sich nur das Trugbild des Konfliktes. Trugbilder kann
man aber nicht anfassen. Solche Konflikte können also nicht gelöst
werden. Weder der Mensch, in den der Konflikt projiziert wurde, kann ihn lösen,
noch der Mensch, der ihn in sich versteckt hat und ihn zwecks weitergehender
Tarnung dann woanders hin projiziert hat, kann ihn lösen, jedenfalls nicht
so lange wie er ihn versteckt hält. Getarnte Feinde kann man nicht besiegen,
man muss sie zuerst enttarnen, damit man sie hernach ergreifen kann um sie dann
zu besiegen.
KARMA ist nicht wertfrei. Es gibt gutes und schlechtes Karma. Einen Konflikt
zu lösen, ein Bedürfnis zu befriedigen, ist gutes Karma. Einen Konflikt
zu verstecken ist sehr schlechtes Karma. Konflikte, die nicht gelöst werden,
werden schlimmer. Projektion ist eine Form der Lüge. Natürlich ist
das schlechtes Karma, denn Lügen verkomplizieren das Leben aller Beteiligten.
Wer projiziert, der hört auf, an dem eigenen Konflikt konstruktiv zu arbeiten,
er hört auf gutes Karma zu leisten. Stattdessen verursacht er anderen Leuten,
in die er seine Konflikte projiziert, Schwierigkeiten. Möglicherweise versuchen
diese Leute nun, einen Konflikt zu lösen, der tatsächlich nicht existiert,
jedenfalls nicht dort, wo er behauptet wird. So müssen sie unweigerlich
ihre Arbeit vergeblich tun. Das ist Vernichtung von Arbeitskraft, also schlechtes
Karma. Da die durch eine Projektion betroffenen Menschen sich üblicherweise
dagegen wehren, werden neue Konflikte erzeugt, was auch wieder schlechtes Karma
ist. Das ganze kann sich sozusagen endlos fortsetzen, wie eine Sizilianische
Vendetta. Die Liebe zur
Wahrheit ist eine unerlässliche Voraussetzung zum Leisten guten Karmas.
Die Liebe zur Wahrheit begründet eine starke Priorität. Es mag als
schmerzhaft empfunden werden, wenn man in sich selbst Aspekte sieht, die mit
den eigenen Wertvorstellungen nicht überein stimmen. Die Liebe zur Wahrheit
ist es, die einen diesen Schmerz aushalten lässt, weil Lügen, sich
selbst über die Wahrheit zu betrügen, der noch größere
Schmerz wäre, der unaushaltbare Schmerz. Es ist die Liebe zur Wahrheit,
die es einem verbietet, die eigenen Schwächen und Fehler nicht anzuerkennen.
Nur auf dieser Grundlage kann man gutes Karma schaffen. Nur wenn ich die Leute,
also auch mich selbst, da abhole, wo sie sind, nur dann kommen wir wirklich
weiter.
22-07-2012