Psychologie.Aspekte.Patient

Dies ist ein Zitat zum Thema: "Wasch' mich, aber mach' mich nicht nass!"
Es stamm aus dem Buch: "Triffst Du Buddha unterwegs ..." von Sheldon B. Kopp. Seiten 8-11


... "Der seelisch geplagte Mensch unserer Zeit, der zeitgenössische Pilger, will Schüler eines Psychotherapeuten sein. Wenn er ernst­haft die Führung eines solchen neuzeitlichen Guru sucht, wird er sich bald auf einer geistigen Pilgerschaft wiederfinden. Das ist nicht weiter erstaunlich; Beklemmung, Zweifel und Hoff­nungslosigkeit zeigen Krisen an, Perioden der Ratlosigkeit, die immer dann auftreten, wenn der Mensch unsicher genug ist, um innerlich wachsen zu können. Wir müssen unser Gefühl des Unbe­hagens immer als die Chance betrachten, »das Wachstum zu wählen und nicht die Angst«.

Der tiefe Wunsch des Patienten nach Wachstum ist zugleich die wichtigste Antriebskraft seiner Pilgerschaft. Der Psychotherapeut muß sich dieser Kraft in seinem Patienten nur bewußt sein und sie im Auge behalten. Dann wird er Freude an seiner Arbeit haben und nicht in Langeweile versinken. Während die Person vor ihm mit beinahe lähmenden Konflikten kämpft, muß er nur beobachten, ob das, wovon er weiß, daß es da ist, auch auftaucht: die dem Menschen eigene Sehnsucht nach Beziehung und Sinn. Er ist nur Beobachter und Katalysator; es liegt nicht in seiner Macht, den Patienten zu >heilen<. Er kann dessen angebore­ner Fähigkeit, von sich aus gesund zu werden, nichts hinzufügen. Wenn er es versucht, stößt er auf hartnäckigen Widerstand, der die Behandlung nur verzögert. Der Patient hat bereits alles, was er braucht, um gesund zu werden. Da er (der Therapeut) nicht für die Heilung >verantwortlich< ist, kann er sich in aller Ruhe an dem Schauspiel der fortschreitenden Gesundung erfreuen.

Natürlich handelt der Patient wie jeder andere (einschließlich des Therapeuten) zu oft eher aus Furcht als aus Verlangen nach Wachs­tum. Sonst würde er ja seinen langen Weg in überströmender Freude antreten und nicht (wie es öfter der Fall ist) in Schmerz und innerem Aufruhr. Die Leute wollen von einem Psychotherapeuten geführt werden, wenn ihre gewohnte selbst-beschränkende, risiko­feindliche Art zu handeln sie nicht weiterbringt, sondern Zerrissen­heit und Erschöpfung in ihr Leben trägt. Ansonsten sind wir nur allzu bereit, mit dem Bekannten zu leben, solange es zu funktionie­ren scheint, wie dürftig die Ergebnisse, die wir damit erzielen, auch immer sein mögen.

Der Patient behauptet zu Beginn der Therapie meistens, daß er sich ändern möchte, aber in Wahrheit will er so bleiben, wie er ist, und der Therapeut soll nur etwas unternehmen, damit er sich besser fühlt. Er will einfach ein erfolgreicherer Neurotiker werden und bekommen, was er sich wünscht, ohne das Risiko des Neuen auf sich nehmen zu müssen. Die Sicherheit des bekannten Elends ist ihm lieber als die ungewohnte Blöße der Ungewißheit. Mit dieser nur allzu menschlichen Schwäche behaftet, nähert sich der Pilger-Patient seinem Therapeuten zu Anfang vielleicht wie ein kleines Kind, das sich an seine Eltern wendet und verlangt, daß sie sich um es kümmern. Es ist, als käme er in meine Praxis und sagte: »Meine Welt ist zerbrochen, Sie müssen sie mir wieder zusammen­fügen.«

Deshalb beginne ich meine Arbeit immer mit zwei Vorsätzen: Ich will auf mich selbst achten, und es soll mir Vergnügen machen. Die treibende Kraft unserer Interaktion muß der Patient sein. Es ist, als stünde ich im Türrahmen meiner Praxis und wartete. Der Patient kommt herein, stürzt auf mich los und versucht verzweifelt, mich in sein Hirngespinst, daß ich mich um ihn kümmern muß, hineinzu­ziehen. Ich trete zur Seite. Der Patient fällt hin, enttäuscht und verwirrt. Jetzt hat er die Möglichkeit, aufzustehen und etwas Neues zu versuchen. Wenn ich bei diesem psychotherapeutischen Judo geschickt genug bin, und er mutig und ausdauernd genug ist, wird er vielleicht neugierig auf sich selbst, lernt, mich zu sehen wie ich bin und fängt an, seine Probleme selbst zu lösen. Möglich, daß sich seine Halsstarrigkeit in zielstrebige Entschlossenheit verwandelt, daß er seine Bemühung um Sicherheit aufgibt und statt dessen nach dem Abenteuer greift
.

Man wird fragen: »Wie kann denn die Anwesenheit eines Therapeuten einen solchen Menschen bei seiner Suche unterstützen?« Er kann auf viele Arten nützlich sein. Zunächst begegnet er dem bis dahin selbst-zentrierten Patienten, der nur seine eigenen Probleme sehen kann, als ein weiteres, sich mühsam durchkämpfendes menschliches Wesen. Er kann interpretieren und beraten, er gibt die für das innere Wachstum notwendige emotionale Bejahung und vor allem, er kann zuhören. Er nimmt nicht einfach nur auf, sondern hört aktiv und zielbewußt zu und reagiert mit dem Instrument seines Handwerks, mit der Verletzlichkeit seines eigenen zittern­den Ichs. Damit erleichtert er es dem Patienten, seine Geschichte zu erzählen und sich damit vielleicht zu befreien. Der Therapeut schafft eine »traumartige Atmosphäre ... und in ihr hat ... der Patient nichts, auf das er sich stützen kann, außer... seiner eigenen, so fehlbaren Urteilskraft«.4 Diese Beschreibung habe ich aus C. G. Jungs Einleitung zur englischen Fassung des I Ging entwendet; dort ist sie Teil einer Beschreibung, mit der Jung die Nützlichkeit dieses dreitausend Jahre alten Buches der Wandlungen darstellt, aus dem ich einige Zeilen als Einleitung dieses Kapitels benutzt habe. Zuerst versucht der Patient, den Therapeuten so zu benutzen, wie viele andere im Lauf der Jahrhunderte versucht haben, das I Ging, das älteste Buch der Weissagungen, zu benutzen. Das Buch der Wandlungen besteht aus Bildern der Mythologie und der sozialen und religiösen Institutionen seiner Entstehungszeit. Die Menschen des Ostens haben zu oft versucht, sich dieser Bilder als Orakel zu bedienen, genau so, wie manche Christen die Bibel öffneten und wahllos irgendeinen Vers herausgriffen, in der Hoffnung, gezielten Rat für ihre Probleme zu finden. Auch der Patient in der Psychothe­rapie mag zunächst versuchen, den Therapeuten dahin zu bringen, daß er ihm sagt, was er tun muß, um glücklich zu sein, und wie er leben kann, ohne für sein eigenes Leben voll verantwortlich sein zu müssen.

Aber das / Ging, die Bibel, der heutige Psychotherapeut und andere Gurus sind recht armselige Orakel. Weit bedeutsamer sind sie als Quelle des Wissens über die Unklarheit, die Unlösbarkeit und die Unvermeidlichkeit der menschlichen Situation. Ihr Wert liegt darin, daß sie eine Bilderwelt anbieten, die zwar festgelegt ist, aber nicht stereotyp; Bilder, »über die man meditieren und in denen man seine Identität entdecken kann«.5 Zu diesen Quellen muß der Suchende gehen und dann dem Echo zuhören, das diese Bücher der Weisheit oder sein Guru zurückwerfen. Der Helfer gibt nur »eine einzige andauernde Ermahnung, den eigenen Charakter, Einstel­lungen und Motive genau zu prüfen«.
Der Sucher kommt in der Hoffnung, etwas Endgültiges, Dauern­des, keinem Wechsel Unterworfenes zu finden, auf das er sich verlassen kann. Statt dessen wird ihm der Gedanke angeboten, daß das Leben nichts weiter ist, als was es zu sein scheint, ein Sack voller Wechselhaftigkeit, Mehrdeutigkeit und Vergänglichkeit. Das mag oft entmutigend sein, lohnt aber letztlich doch die Mühe, denn es gibt sonst nichts. Der Pilger wünscht sich eine endgültige Lebens­weise und erfährt statt dessen:
Der SINN, der sich aussprechen läßt,
ist nicht der ewige SINN.
Der Name, der sich nennen läßt,
ist nicht der ewige Name. ...

28-10-2011